01.06.22_Nach dem Camino…

…ist vor dem Camino!

Es wird getuschelt, dass es eine Sucht werden kann, den Jakobsweg zu gehen. Man überlegt bereits unterwegs, welcher Weg, der Nächste ist.

Willma Ruhe und mir erging und ergeht es nicht anders. Wir haben viel erlebt in dieser Zeit und träumten ständig von neuen Zielen und Verbesserungen die wir beim nächsten Mal machen. Das erschreckt uns selbst. Wie kann man so eine Selbstgeiselung wiederholen wollen?! Den ganzen Tag draußen, Kilometer um Kilometer mit Rucksack wandern, ständig andere Menschen um sich herum, permanenter Schlafentzug. Ich glaube, man muss es erleben um es zu verstehen. Um den Weg zu verstehen.

Es war das Abenteuer meines Lebens, soviel kann ich Euch sagen. Diese Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen kann mir niemand mehr nehmen. Das ist jetzt makaber, aber ich stelle mir mich ab und an vor, wie ich krank und schwach im Bett liege und mir die Bilder und Videos dieser Reise anschaue, und mit Tränen und Freude an diese Zeit zurück denke. Und es mir hoffentlich weiterhin Kraft gibt.

Obwohl dies mein Blog ist, in dem ich Euch über meine Krebserkrankung schreibe, möchte ich diese Plattform nutzen, um Euch über den Camino zu berichten. Denn irgendwie finde ich, gehört auch diese Reise zu meiner Krankheit dazu. Schließlich sollte diese Reise mein letzter Wunsch sein…

Am 03.05.22 flog ich nach Bilbao um dann noch weitere zwei Stunden mit dem Zug weiter nach Burgos zu fahren. Hier startete ich am 04.05. alleine meine Wanderschaft in Richtung Santiago de Compostela um ans Kap Finisterre zu gelangen. 600km sollten es werden und ich hatte dafür 25 Tage Zeit. In meinen ersten Tagen alleine führte mich mein Weg durch eine teilweise karge Landschaft des kastilischen Hochlands (Meseta). Es ging steil bergauf und ebenso wieder steil bergab. Viele Stunden wanderte ich alleine und war dennoch nicht einsam. Immer wieder begegnete ich anderen Pilgern. Abends in den Albergen beim gemeinsamen Essen des Pilgermenüs traf ich auf Pilger aus allen Ländern dieser Welt.

Die Gedanken kreisten irgendwann nur noch um drei Fragen – Was esse ich heute? Wo schlafe ich heute? Wie weit laufe ich heute?

Man reduziert sich auf das Wesentlichste. Meine Krankheit wurde zur Nebensache und die Blasen an meinen Füßen gewannen an Priorität. Blasen hat hier jeder irgendwann einmal. Jeder hat etwas über seine Füße zu erzählen und alle wissen, wovon gesprochen wird. Das wäre hier in unserer Realität nicht machbar. Jeder würde das Gesicht verziehen und angeekelt schauen. Wir haben uns gegenseitig geholfen und sogar gegenseitig verarztet. Auch Fremden! Egal! Man versteht sich ☺️

Der Tipp, ich solle mir einen Faden durch meine Blase ziehen war genial. Komisch und befremdlich, aber sehr hilfreich. Ich kann es Euch nur empfehlen.

Ich lernte Magdalena kennen, auch eine Pilgerin, die wie so viele andere auch, in Saint-Jean-Pied-de-Port mit Ihrer Reise begann. Wir aßen Abends zusammen und trafen uns zufällig am nächsten Tag unterwegs. Diesen Tag liefen wir gemeinsam zu unserem Ziel. Sie erzählte mir ihre Geschichte, und als wir schon beinahe in unserem Ort waren meinte sie beiläufig, dass sie bereits seit sechs Jahren als Krankenschwester in der Onkologie arbeitet und wenn sie nach Hause kommt, sie in die Palliativ Station wechselt. Meine Blick hätte ich zu gerne gesehen. Die Erste mit der ich laufe arbeitet in der Onkologie? Zufall? Schicksal? Der Weg?

Ich erzählte ihr von mir und Magdalena war sehr positiv überrascht, dass ich so lange nach meiner Diagnose zu solch einer Leistung fähig bin. Die Reaktion war mir persönlich fast zu positiv.

Sollte ich bereits sterbenskrank sein? Ist es so abnormal, dass man in meinem Stadium noch so fit ist?

Diese Fragen beschäftigten mich am nächsten Tag. Selbstzweifel versuchten an die Oberfläche zu kommen und mir einzureden, dass in ein paar Jahren sowieso alles vorbei sei. Doch ich gab diesen Gedanken keine Chance zu wachsen und der Weg tat sein übriges um mich abzulenken.

Am Muttertag, passierte dann etwas, das meinen gesamten Weg bestimmen sollte. Ich knickte auf einer breiten Straße in Sahagun, mit meinem 10Kilo Rucksack auf dem Rücken, um. Asphaltplatten hatten sich versetzt und mein Blick war auf die Pfeile für uns Pilger gerichtet, die uns immer den Weg zeigen. Dieser Versatz der Platten zwang mich in die Knie. Der Schmerz war sofort unerträglich und ein Aufstehen ohne Hilfe undenkbar. Vier Italiener eilten sofort herbei um mich zu verarzten. Genau diese vier Personen beäugte ich die ganzen Tage vorher mit kritischem Blick. Wollte mir Miss Karma etwas mitteilen? Nicht gleich urteilen, sondern erst einmal meinem Gegenüber eine Chance geben sich zu zeigen wie sie wirklich ist.

Und nun verarzteten und kümmerten sich diese vier Personen ganz liebevoll um mich. Nach viel Desinfektionsmittel, Tupfen und Streicheleinheiten wandten sie sich wieder ihrem Weg zu und überließen mich meinem Schicksal. Ich konnte nicht auftreten und somit auch nicht weitergehen. Also landete ich in einer fragwürdigen Bar, aber ich urteile ja nicht 😉, und bekam unmengen an Eis für meinen geschwollenen Fuß und Tortilla für meine Seele. Nach ein paar Tränchen musste ich leider den Beschluss fassen, dass es in die nächst größere Stadt nur noch mit dem Zug oder Bus weitergehen kann.

Am Bahnhof angekommen, lernte ich einen Südkoreaner kennen, dessen europäischer Name Emanuelle ist. Wir verständigten uns mithilfe von Übersetzungs Apps und Handzeichen. Auch er ist Pilger und möchte in die gleiche Stadt wie ich, nämlich Leon. Ich fand heraus, dass der nächste Zug erst um 17:30Uhr fuhr. Seine Reaktion auf diese Tatsache war: “Beer?“ 😂 Naja, was sollte ich auf diese charmante Frage antworten, schließlich hatten wir noch viele Stunden bis dahin. Und es war Sonntag. Die Alternativen waren somit überschaubar. Wir gingen in die nächste Bar. Er versuchte meinen Rucksack zu tragen. Versuchte. Ich übernahm ihn dann wieder und hinkte hinterher. Somit verbrachte ich einen Sonntagnachmittag in einem Irish Pup. Mit einem Koreaner der mir ein fragwürdiges Spray am Fuß verpasste und gefallen an “Beer“ fand. Der Fuß ist mir glücklicherweise nicht abgefallen und den Koreaner habe ich auch gut nach Leon gebracht. Insofern war es trotz Allem ein sehr witziger Nachmittag.

In Leon hatte ich dann zum Glück für drei Nächte ein Hotelzimmer. Ich pflegte und verarztete meinen Fuß und Willma kam dann wie abgemacht zu mir. Wir starteten am Mittwoch mit 11Kilometer, einfach um zu schauen, wie mein Fuß auf diese Belastung reagiert. Täglich steigerten wir unser Pensum und Willma kam mit jedem Tag mehr auf dem Weg “an“. Die erste Aufregung wich und sie knüpfte Kontakte und fühlte sich sichtlich wohl. Trotz der Gemeinschaftsunterkünfte, trotz der Ernährungsumstellung. Mit ein paar Blättern Salat und etwas Fisch hält man hier nicht lange durch. Der Körper verliert täglich ein paar Liter Schweiß und wir waren den ganzen Tag in Bewegung. Ein bisschen mehr musste es schon sein. Frühstück, Mittagessen und Abends das Pilgermenü waren immer willkommen. Auch gerne mal ein Gläschen Wein.

Am berühmten Cruz de Ferro wurde es für uns beide sehr emotional. Wir dachten an geliebte Menschen, an Kranke, an unfassbar traurige Schicksale und legten diese in Form von persönlichen Niederschriften an dem Kreuz nieder. Uns gegenseitig tröstend folgten wir weiterhin unserem Weg.

Wir wanderten mal nebeneinander, mal getrennt, mal plappernd, mal leise. Aber immer zusammen. Immer mit Blick aufeinander. Immer mir Blick zum Ziel. Und dieses Ziel kam immer näher. Die letzten 100km waren geprägt von den Tagespilgern. Teilzeitpilger. Ich mit meinen 25 Tagen war schon beinahe ein Teilzeitpilger. Hier waren Menschen unterwegs, die hatten 60Tage Zeit, drei Monate oder sogar noch mehr. Wahnsinn. Also wenn Ihr solch eine Reise plant, bringt etwas Zeit mit😉

Jeden Tag liefen wir bergauf und bergab. Mal auf Passhöhen, mal neben einer Landstraße, mal durch Weinberge. Die Vegetation wechselt ihr Aussehen. Von kargen Landschaften, durch satte grüne Wälder. Lavendel begleitete uns am Wegesrand, ebenso wie große Büsche Thymian. Aber eines war immer sicher, wir trafen immer wieder Pilger, die wir schon kannten ☺️

Einen Tag vor Santiago wusste ich, nachdem ich meinen Wanderschuh ausgezogen hatte, dass Santiago nicht nur das Ziel von Willma sein wird, sondern auch mein Ziel. Der Traum an das Kap Finisterre zu laufen, war in diesem Moment verpufft. Immer wieder unterwegs motivierte ich mich mit der Vorstellung, wie ich Richtung Wasser laufe. Immer wieder hatte ich bei dieser Vorstellung Tränen in den Augen dies zu schaffen. Doch leider sollte es nicht sein. Ich sah einen rot-blau geschwollenen Mittelfuß und wusste, dass ich es nicht weiter schaffe. Santiago ist Endstation. Alles andere wäre unverantwortlich.

„Aufgeben ist keine Option“ ist immer mein Spruch. Doch nicht, wenn es der eigenen Gesundheit schadet. Leise weinend versuchte ich diese neue Situation zu verkraften. Mit Schnuggi und Willma ging ich die verschiedenen Möglichkeiten durch, die mir noch blieben. Ich legte meinen gebuchten Flug von Samstag auf Dienstag vor und würde somit nur noch am nächsten Tag mit Willma nach Santiago laufen und Montag noch die Stadt erkunden. Dienstag fliegen wir gemeinsam nach Hause.

Diese Nacht war die Schlimmste auf dem ganzen Weg. Furchtbare Unterkunft, kaputter Fuß und der Kopf will nicht ruhen. Wie soll man da auch nur ein Auge zu bekommen?

Um 5:13Uhr am nächsten Morgen gingen die Ersten bereits los! Wir hatten noch 20km bis zum Ziel. Ein tolles Frühstück mit Waffeln und schon starteten wir. Unser letzter Tag der Wanderschaft. Wir waren jetzt schon wehmütig. Es war ein gefühlt endloser Weg. Es ging durch Wälder, um den Flughafen herum, bis wir endlich die Stadt zu sehen bekamen. Und uns ging es immer schlechter. Willma klagte über Schmerzen komplett ab Hüfte nach unten, ich bekam zwei Kilometer vor Ende bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz im Mittelfuß. Es war die Hölle. Jeder Schritt tat uns weh. Aber ich sagte Schnuggi noch am Vorabend, dass ich auf jeden Fall ins Ziel komme, und wenn es auf allen Vieren ist. So ähnlich war es dann auch. Die Stöcke wurden zu Krücken und unsere Geschwindigkeit näherte sich der Zahl Null an. Mit Tränen in den Augen und nur noch den Tunnelblick auf die Kathedrale gerichtet ging es Schritt für Schritt vorwärts. Ja, ans Kap wäre ich nicht gekommen. Das leuchtete dann sogar mir ein 😉

Endlich waren wir am Ziel angekommen, wir standen vor der Kathedrale! Tränen liefen und wir umarmten uns. Diese Emotionen kann man nicht beschreiben. Die muss man einfach selbst erleben. Irgendwie ist man nicht mehr man selbst. Sogar jetzt beim Schreiben bekommen meine Augen einen feuchten Schleier. So tough und cool wir doch zu sein scheinen, hier waren wir wie alle anderen. Wir heulten, lachten, machten Fotos und konnten es nicht fassen hier zu stehen.

Natürlich erfuhr mein Fuß keine Wunderheilung, mit Santiago erkunden war nicht viel. Ich kaufte am nächsten Tag ein paar Souvenirs und ansonsten lag mein Klumpfuß auf irgendwelchen Stühlen rum. Die restlichen zwei Abende verbrachten wir mit Pilgern, die wir bereits kennenlernen durften und zufällig wieder trafen. Manche zogen noch ans Kap Finisterre weiter, für andere war nach 800km nun Endstation.

Mit meinem Schicksal hadernd hörte ich mir Geschichten von denen an, die vom Kap schon wieder zurück kamen. Ich sah Bilder im Status der Glücklichen und wurde jedesmal wehmütig nicht auch dort zu sein. Viele meinten, ich solle den Weg in den Sommerferien nachholen.

Aber vielleicht soll es gar nicht sein, dass ich mir meinen letzten Wunsch erfülle? 🍀

Vielleicht bin ich einfach noch nicht an der Reihe…🍀

Wenn ich dafür alt, grau und runzlig werde verzichte ich gerne auf dieses Abenteuer! 🍀

Es steht somit immer noch auf meiner Liste. Als einziger Wunsch.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es auch andere Wege gibt, die auf mich warten 😉☀️

Zu Hause angekommen besuchte ich gleich meinen Orthopäden. Das Röntgenbild zeigte einen eindeutigen Bruch des unteren Wadenbeins. Keine Bänderdehnung! Als ich ihm erzählte, dass ich damit 300km damit gelaufen bin, lachte er…🙈 Nun darf ich für sechs Wochen eine Orthese tragen und soll den Fuß schonen. Ein MRT für den Mittelfuß steht für morgen auf dem Programm. Man könnte sagen, ich habe mich rentiert. Aber wisst Ihr was?! Es gibt schlimmeres, und ich bereue auch nicht, dort nicht zum Arzt gegangen zu sein. Ich hätte dies alles nicht erlebt, wenn ich in Leon bereits von einem Bruch gewusst hätte. Diese Zeit ist durch nichts zu ersetzen 🍀

Wenn Ihr Lust bekommen habt Euren Weg zu gehen, lasst Euch nicht aufhalten, ich kann es jedem nur empfehlen. Ich bin kein spiritueller oder christlicher Mensch, und trotzdem fesselt mich dieser Trip und ich kann nicht aufhören, davon zu erzählen und daran zu denken. Wenn ihr fragen habt, dürft ihr mich natürlich gerne kontaktieren. Ich habe während der Reise täglich ein kleines einfaches Video auf Youtube in meinem Kanal “Gewinnerbraut“ eingestellt. Gerne dürft Ihr Euch das anschauen, liken und natürlich dürft Ihr den Kanal auch abonnieren. Vielleicht gehts ja irgendwann weiter? 😅

https://youtube.com/channel/UCKUwhMdiHyo6JIvKoLWBiNQ

Sag niemals nie…

Buen Camino

Eure Nadja

2 Gedanken zu “01.06.22_Nach dem Camino…

  1. Das hört sich echt super an. Und trotz aller Hindernisse hast Du es durchgezogen .
    Freud und Leid erlebt und mit all den anderen auf dem Weg geteilt. Nach dem Camino ist vor dem Camino . Keep going
    Alles gute und ganz viel Glück.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar