09.08.22_Inzwischen sollte…

ich hier Miete bezahlen!

So oft und lange wie ich hier in dieser Cafeteria des Universitäts Klinikum Heidelberg sitze. Wie viel Kaffee habe ich hier bereits getrunken?!

Und gerade ist es wieder soweit. Ich warte, trinke Kaffee und versuche geduldig zu sein. Heute ist nicht nur Blutabnahme und hoffentlich überreichen meiner neuen Medikamente, sondern viel wichtiger, heute ist Befundbesprechung. Die Untersuchungen waren bereits Mitte Juli. Ganz schön lange her!

Obwohl es mir unverändert geht, spinne ich mir in meinem Kopf Dinge zusammen, die sehr unlogisch sind…negative Dinge natürlich! Warum hat man dieses negative Denken? Was soll das? Es bringt doch überhaupt nichts, wenn man sich selbst runterzieht und sich Szenarien überlegt, die so abwegig und schlimm sind 🙄

Ich vertreibe diese Gedanken, lenke mich ab. Inzwischen bin ich Meisterin darin 😅 Bringt ja auch nichts sich einen Kopf über Dinge zu machen, die man sowieso nicht beeinflussen kann.

Momentan bekomme ich vermehrt Nachrichten von Patientinnen die große Angst haben. Angst vor dem was kommen könnte, Angst vor der Zukunft. Ich kann diese Angst durchaus verstehen, jedoch sollte sie nicht Besitz von uns ergreifen. Sie ist ein Teil von uns, sie kommt plötzlich und unerwartet, aber genau so sollten wir sie sehen. Als ein Teil von uns. Nicht ein Bestimmendes, alles Einnehmendes etwas das uns im Nacken sitzt. Nein, wir sollten es sehen als einen Teil über den wir die Macht haben. Wir können diesen Teil von uns selbst bestimmen. Mit guten Gedanken vertreiben. In eine Schublade legen und mit positiven Gefühlen so zu müllen, dass sie keine Kraft hat an die Oberfläche zu gelangen.

Beinahe täglich werden wir mit Todesanzeigen von anderen Patienten konfrontiert. Furchtbar. Unerträglich. Man sieht sich immer an deren Position. Die Gedanken, dass es einen genauso treffen kann, liegen nahe. Aber woher wollen wir das wissen? Jeder Mensch ist anders. Jede Krankheit ist anders. Warum also soll ich mein Herz mit Traurigkeit und Angst füllen, wo ich doch gar nicht weiß, wann meine Zeit gekommen ist um Abschied zu nehmen?! Ich, wir sind noch hier. Und es geht weiter. Und hoffentlich noch lange!

“Warum bereits Angst vor dem Berg haben, obwohl ich ihn noch gar nicht sehen kann?“

Diesen Satz wende ich für mich an. Mein Leben ist viel zu kostbar geworden, um es mit Sorgen zu füllen und diese Zeit an die Angst zu verschwenden.

Natürlich habe auch ich täglich meine Minuten in denen ich zweifle. Natürlich weiß ich nicht, ob ich mit meinem Mann alt werde und meine Tochter aufwachsen sehe. Das belastet uns Alle, nicht zu wissen was kommt. Und genau deswegen sollten wir unser Leben genießen, und Erinnerungen generieren.

Lasst uns täglich mindestens einen wunderschönen Moment genießen ☀️

Was war Euer letzter wunderschöner Moment?

Ich versuche des öfteren aus meinem Alltag zu entfliehen. So geschehen letzte Woche. Ich ging wandern. Der Moselsteig sollte es werden. Dieser Wanderweg wurde 2014 ins Leben gerufen und hat 365km in 24Etappen eingeteilt. Da ich nur fünf Tage Zeit hatte, hatte ich geplant in Perl zu starten und dann fünf Etappen zu wandern. Mit Zelt und Hund…

Ok, ich mache das nie wieder 🤪 Es ging schief, was nur schief gehen konnte! Die Hitze war unerträglich, die Zeltplätze sehr bescheiden und mein Rucksack mit 14Kilo viel zu schwer… Das war die Kurzfassung 🤣

Auf dem ersten Zeltplatz gab es keine Mülleimer und auf der Toilette kein Toilettenpapier. Es war auch nicht vorgesehen, dass es da welches gab. Die Halterung war nicht vorhanden! Der Griff nach rechts wo ich das nötige Papier vermutete ging ins Leere. Meinen Blick hätte ich schon gern gesehen 🫣 Zum Glück habe ich immer Tempos bei mir…Unglück abgewendet.

Dann in dieser Hitze weiter, Willi meine Bulldogge immer tapfer an meiner Seite. Wir kämpften uns durch die Landschaft und die kleinen Ortschaften in denen es nichts zu kaufen gab. Keinen Bäcker, kein Geschäft – nichts! Also musste ich unser komplettes Trinken mitnehmen. 2,5Liter schleppte ich mit mir rum, um dann trotzdem an Wasser zu sparen, damit Willi genügend zu saufen hatte. Meine Nackenschmerzen durch dieses große Gewicht wurden immer heftiger. An einem Tag beschloss ich dann, auf Grund der starken Hitze, dass wir mit dem Zug zum nächsten Zeltplatz weiterfahren. Wir machten auch einen Tag Pause, da es unverantwortlich gewesen wäre, weiterzugehen. Chillen war angesagt, Willi durfte schlafen und baden und ich hätte diesen Tag gerne aus meinem Kalender entfernt. Tja, hier kommt wieder der Spruch „Frau am Steuer…“ und leider muss ich ihm recht geben…Ich habe das Spielzeug meines Mannes, eine Drohne, im Fluss versenkt! Was habe ich geschwitzt beim Versuch, die Drohne aus einem Busch zu holen, der gefühlte zehn Meter, über den Fluss ragte. Keine Chance. Die Drohne flog ins Wasser und ging schneller unter wie ich sch… sagen konnte. Natürlich beichtete ich meinem Mann das Desaster sofort, und er reagierte wirklich super. „Ist doch ersetzbar, mach dir keinen Kopf!“ Puh…ich weiß natürlich, dass er nach dem Auflegen leise weinte, aber seine Worte taten mir gut 😉

Noch dazu musste ich an diesem Tag vom Verlust einer Bekannten erfahren, der mich sehr schockierte. Sie hat ziemlich das gleiche Krankheitsbild wie ich, ist im gleichen Alter, hat Kinder. Wie haben immer wieder miteinander geschrieben, hatten viele Parallelen. Im Juni hatten wir noch Kontakt, sie schrieb von einem Infekt und dass sie im Krankenhaus ist, aber alles wieder gut wird. Und jetzt ging es ganz schnell

Ruhe in Frieden 🖤

Und trotzdem wendete sich dieser Tag noch zum Guten. Ich fand einen Zettel an meinem Zelt…

Ich war total perplex und freute mich total. Natürlich würde ich gerne ein Schwätzchen halten ☺️

Erstmal versorgte ich Willi mit einem nassen Tuch….

Am Abend trafen wir uns dann in der Wirtschaft meines Campingplatzes. Heike ist eine begeisterte Pilgerin, war auch bereits zwei Mal auf dem Camino Portugues und möchte dieses Jahr für sechs Wochen den Camino Frances gehen. Toll! Ich wünsche ihr, dass sie ihren Weg findet und erfüllt nach Hause kommt. Buen Camino liebe Heike 🍀

Sie kommt aus Trier und hat mir nahe gelegt, den Mosel Camino zu gehen. Sie vergibt auch Betten an Pilger und ich könnte dann bei ihr in Trier übernachten. Vielleicht ist das mein nächstes Abenteuer?

Am nächsten Tag war es kühler, und wir gingen weiter nach Trier. Dort angekommen, packte ich als erstes alles aus, da ich morgens bei Regen alles eingepackt hatte. Zelt aufbauen, Schlafsack aufhängen, chillen. Gerade wollte ich mir Willi schnappen um mir Trier anzuschauen, sah ich an seiner Pfote eine Schwellung. Sofort dachte ich an eine Granne. So etwas hatte er bereits und die sollten zeitnah entfernt werden. Also rief ich in der Tierklinik an. Nein, heute haben sie keine Zeit mehr für ihn. Na super! Für mich war klar, jetzt geht es nach Hause! Ich packte alles wieder zusammen, wir nahmen den nächsten Zug zu unserem Startpunkt Perl und fuhren nach Hause. Mir reichte es!

Am nächsten Morgen gingen wir zum Tierarzt und es stellte sich heraus, dass ihm eine Talkdrüse geplatzt ist und das Sekret die Schwellung verursacht. Jetzt bekommt er Antibiotika und hat einen Verband an der Pfote. Keine Sorge, unserer Büffelhüfte geht es soweit gut ☺️

Ansonsten kann ich den Moselsteig nur empfehlen. Die Landschaft ist wunderschön, der Weg abwechslungsreich und mit den richtigen Unterkünften und einem angenehmerem Wetter bestimmt unvergesslich!

Ich warte hier übrigens immer noch…bereits seit zwei Stunden 🙄

Nach drei Stunden warten war es mir doch etwas zu lang. Ich ging zu meiner Nurse und wurde sofort weitergeleitet an die zuständige Ärztin. Mein weißes Blatt hält an! Weiterhin ist alles rückläufig. Der Wahnsinn 🍀 Inzwischen sind die Metatstasen um 60% zurück gegangen. Glücksgefühle kommen hoch. Das Herz pocht ❤️ Nur meine Neutrophilen sind wieder zu niedrig, war ja klar. Aber das macht nichts, über die rege ich mich schon lange nicht mehr auf 😉

Das ist ein kleiner Ausschnitt meiner Abbildungen der Metastasen, ich habe einige mehr. Es wird alles dokumentiert. Von der Baseline, also meiner ersten Untersuchung, bis jetzt. Und immer miteinander verglichen. Das finde ich sehr interessant und motiviert mich.

Nun sitze ich zu Hause, und warte, bis ich mit meinem Mann auf dieses weiße Blatt anstoßen kann ☺️

Ich wünsche Euch eine Woche voller weißer Blätter und sonnigen Gedanken ☀️

bleibt gesund 🍀

01.06.22_Nach dem Camino…

…ist vor dem Camino!

Es wird getuschelt, dass es eine Sucht werden kann, den Jakobsweg zu gehen. Man überlegt bereits unterwegs, welcher Weg, der Nächste ist.

Willma Ruhe und mir erging und ergeht es nicht anders. Wir haben viel erlebt in dieser Zeit und träumten ständig von neuen Zielen und Verbesserungen die wir beim nächsten Mal machen. Das erschreckt uns selbst. Wie kann man so eine Selbstgeiselung wiederholen wollen?! Den ganzen Tag draußen, Kilometer um Kilometer mit Rucksack wandern, ständig andere Menschen um sich herum, permanenter Schlafentzug. Ich glaube, man muss es erleben um es zu verstehen. Um den Weg zu verstehen.

Es war das Abenteuer meines Lebens, soviel kann ich Euch sagen. Diese Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen kann mir niemand mehr nehmen. Das ist jetzt makaber, aber ich stelle mir mich ab und an vor, wie ich krank und schwach im Bett liege und mir die Bilder und Videos dieser Reise anschaue, und mit Tränen und Freude an diese Zeit zurück denke. Und es mir hoffentlich weiterhin Kraft gibt.

Obwohl dies mein Blog ist, in dem ich Euch über meine Krebserkrankung schreibe, möchte ich diese Plattform nutzen, um Euch über den Camino zu berichten. Denn irgendwie finde ich, gehört auch diese Reise zu meiner Krankheit dazu. Schließlich sollte diese Reise mein letzter Wunsch sein…

Am 03.05.22 flog ich nach Bilbao um dann noch weitere zwei Stunden mit dem Zug weiter nach Burgos zu fahren. Hier startete ich am 04.05. alleine meine Wanderschaft in Richtung Santiago de Compostela um ans Kap Finisterre zu gelangen. 600km sollten es werden und ich hatte dafür 25 Tage Zeit. In meinen ersten Tagen alleine führte mich mein Weg durch eine teilweise karge Landschaft des kastilischen Hochlands (Meseta). Es ging steil bergauf und ebenso wieder steil bergab. Viele Stunden wanderte ich alleine und war dennoch nicht einsam. Immer wieder begegnete ich anderen Pilgern. Abends in den Albergen beim gemeinsamen Essen des Pilgermenüs traf ich auf Pilger aus allen Ländern dieser Welt.

Die Gedanken kreisten irgendwann nur noch um drei Fragen – Was esse ich heute? Wo schlafe ich heute? Wie weit laufe ich heute?

Man reduziert sich auf das Wesentlichste. Meine Krankheit wurde zur Nebensache und die Blasen an meinen Füßen gewannen an Priorität. Blasen hat hier jeder irgendwann einmal. Jeder hat etwas über seine Füße zu erzählen und alle wissen, wovon gesprochen wird. Das wäre hier in unserer Realität nicht machbar. Jeder würde das Gesicht verziehen und angeekelt schauen. Wir haben uns gegenseitig geholfen und sogar gegenseitig verarztet. Auch Fremden! Egal! Man versteht sich ☺️

Der Tipp, ich solle mir einen Faden durch meine Blase ziehen war genial. Komisch und befremdlich, aber sehr hilfreich. Ich kann es Euch nur empfehlen.

Ich lernte Magdalena kennen, auch eine Pilgerin, die wie so viele andere auch, in Saint-Jean-Pied-de-Port mit Ihrer Reise begann. Wir aßen Abends zusammen und trafen uns zufällig am nächsten Tag unterwegs. Diesen Tag liefen wir gemeinsam zu unserem Ziel. Sie erzählte mir ihre Geschichte, und als wir schon beinahe in unserem Ort waren meinte sie beiläufig, dass sie bereits seit sechs Jahren als Krankenschwester in der Onkologie arbeitet und wenn sie nach Hause kommt, sie in die Palliativ Station wechselt. Meine Blick hätte ich zu gerne gesehen. Die Erste mit der ich laufe arbeitet in der Onkologie? Zufall? Schicksal? Der Weg?

Ich erzählte ihr von mir und Magdalena war sehr positiv überrascht, dass ich so lange nach meiner Diagnose zu solch einer Leistung fähig bin. Die Reaktion war mir persönlich fast zu positiv.

Sollte ich bereits sterbenskrank sein? Ist es so abnormal, dass man in meinem Stadium noch so fit ist?

Diese Fragen beschäftigten mich am nächsten Tag. Selbstzweifel versuchten an die Oberfläche zu kommen und mir einzureden, dass in ein paar Jahren sowieso alles vorbei sei. Doch ich gab diesen Gedanken keine Chance zu wachsen und der Weg tat sein übriges um mich abzulenken.

Am Muttertag, passierte dann etwas, das meinen gesamten Weg bestimmen sollte. Ich knickte auf einer breiten Straße in Sahagun, mit meinem 10Kilo Rucksack auf dem Rücken, um. Asphaltplatten hatten sich versetzt und mein Blick war auf die Pfeile für uns Pilger gerichtet, die uns immer den Weg zeigen. Dieser Versatz der Platten zwang mich in die Knie. Der Schmerz war sofort unerträglich und ein Aufstehen ohne Hilfe undenkbar. Vier Italiener eilten sofort herbei um mich zu verarzten. Genau diese vier Personen beäugte ich die ganzen Tage vorher mit kritischem Blick. Wollte mir Miss Karma etwas mitteilen? Nicht gleich urteilen, sondern erst einmal meinem Gegenüber eine Chance geben sich zu zeigen wie sie wirklich ist.

Und nun verarzteten und kümmerten sich diese vier Personen ganz liebevoll um mich. Nach viel Desinfektionsmittel, Tupfen und Streicheleinheiten wandten sie sich wieder ihrem Weg zu und überließen mich meinem Schicksal. Ich konnte nicht auftreten und somit auch nicht weitergehen. Also landete ich in einer fragwürdigen Bar, aber ich urteile ja nicht 😉, und bekam unmengen an Eis für meinen geschwollenen Fuß und Tortilla für meine Seele. Nach ein paar Tränchen musste ich leider den Beschluss fassen, dass es in die nächst größere Stadt nur noch mit dem Zug oder Bus weitergehen kann.

Am Bahnhof angekommen, lernte ich einen Südkoreaner kennen, dessen europäischer Name Emanuelle ist. Wir verständigten uns mithilfe von Übersetzungs Apps und Handzeichen. Auch er ist Pilger und möchte in die gleiche Stadt wie ich, nämlich Leon. Ich fand heraus, dass der nächste Zug erst um 17:30Uhr fuhr. Seine Reaktion auf diese Tatsache war: “Beer?“ 😂 Naja, was sollte ich auf diese charmante Frage antworten, schließlich hatten wir noch viele Stunden bis dahin. Und es war Sonntag. Die Alternativen waren somit überschaubar. Wir gingen in die nächste Bar. Er versuchte meinen Rucksack zu tragen. Versuchte. Ich übernahm ihn dann wieder und hinkte hinterher. Somit verbrachte ich einen Sonntagnachmittag in einem Irish Pup. Mit einem Koreaner der mir ein fragwürdiges Spray am Fuß verpasste und gefallen an “Beer“ fand. Der Fuß ist mir glücklicherweise nicht abgefallen und den Koreaner habe ich auch gut nach Leon gebracht. Insofern war es trotz Allem ein sehr witziger Nachmittag.

In Leon hatte ich dann zum Glück für drei Nächte ein Hotelzimmer. Ich pflegte und verarztete meinen Fuß und Willma kam dann wie abgemacht zu mir. Wir starteten am Mittwoch mit 11Kilometer, einfach um zu schauen, wie mein Fuß auf diese Belastung reagiert. Täglich steigerten wir unser Pensum und Willma kam mit jedem Tag mehr auf dem Weg “an“. Die erste Aufregung wich und sie knüpfte Kontakte und fühlte sich sichtlich wohl. Trotz der Gemeinschaftsunterkünfte, trotz der Ernährungsumstellung. Mit ein paar Blättern Salat und etwas Fisch hält man hier nicht lange durch. Der Körper verliert täglich ein paar Liter Schweiß und wir waren den ganzen Tag in Bewegung. Ein bisschen mehr musste es schon sein. Frühstück, Mittagessen und Abends das Pilgermenü waren immer willkommen. Auch gerne mal ein Gläschen Wein.

Am berühmten Cruz de Ferro wurde es für uns beide sehr emotional. Wir dachten an geliebte Menschen, an Kranke, an unfassbar traurige Schicksale und legten diese in Form von persönlichen Niederschriften an dem Kreuz nieder. Uns gegenseitig tröstend folgten wir weiterhin unserem Weg.

Wir wanderten mal nebeneinander, mal getrennt, mal plappernd, mal leise. Aber immer zusammen. Immer mit Blick aufeinander. Immer mir Blick zum Ziel. Und dieses Ziel kam immer näher. Die letzten 100km waren geprägt von den Tagespilgern. Teilzeitpilger. Ich mit meinen 25 Tagen war schon beinahe ein Teilzeitpilger. Hier waren Menschen unterwegs, die hatten 60Tage Zeit, drei Monate oder sogar noch mehr. Wahnsinn. Also wenn Ihr solch eine Reise plant, bringt etwas Zeit mit😉

Jeden Tag liefen wir bergauf und bergab. Mal auf Passhöhen, mal neben einer Landstraße, mal durch Weinberge. Die Vegetation wechselt ihr Aussehen. Von kargen Landschaften, durch satte grüne Wälder. Lavendel begleitete uns am Wegesrand, ebenso wie große Büsche Thymian. Aber eines war immer sicher, wir trafen immer wieder Pilger, die wir schon kannten ☺️

Einen Tag vor Santiago wusste ich, nachdem ich meinen Wanderschuh ausgezogen hatte, dass Santiago nicht nur das Ziel von Willma sein wird, sondern auch mein Ziel. Der Traum an das Kap Finisterre zu laufen, war in diesem Moment verpufft. Immer wieder unterwegs motivierte ich mich mit der Vorstellung, wie ich Richtung Wasser laufe. Immer wieder hatte ich bei dieser Vorstellung Tränen in den Augen dies zu schaffen. Doch leider sollte es nicht sein. Ich sah einen rot-blau geschwollenen Mittelfuß und wusste, dass ich es nicht weiter schaffe. Santiago ist Endstation. Alles andere wäre unverantwortlich.

„Aufgeben ist keine Option“ ist immer mein Spruch. Doch nicht, wenn es der eigenen Gesundheit schadet. Leise weinend versuchte ich diese neue Situation zu verkraften. Mit Schnuggi und Willma ging ich die verschiedenen Möglichkeiten durch, die mir noch blieben. Ich legte meinen gebuchten Flug von Samstag auf Dienstag vor und würde somit nur noch am nächsten Tag mit Willma nach Santiago laufen und Montag noch die Stadt erkunden. Dienstag fliegen wir gemeinsam nach Hause.

Diese Nacht war die Schlimmste auf dem ganzen Weg. Furchtbare Unterkunft, kaputter Fuß und der Kopf will nicht ruhen. Wie soll man da auch nur ein Auge zu bekommen?

Um 5:13Uhr am nächsten Morgen gingen die Ersten bereits los! Wir hatten noch 20km bis zum Ziel. Ein tolles Frühstück mit Waffeln und schon starteten wir. Unser letzter Tag der Wanderschaft. Wir waren jetzt schon wehmütig. Es war ein gefühlt endloser Weg. Es ging durch Wälder, um den Flughafen herum, bis wir endlich die Stadt zu sehen bekamen. Und uns ging es immer schlechter. Willma klagte über Schmerzen komplett ab Hüfte nach unten, ich bekam zwei Kilometer vor Ende bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz im Mittelfuß. Es war die Hölle. Jeder Schritt tat uns weh. Aber ich sagte Schnuggi noch am Vorabend, dass ich auf jeden Fall ins Ziel komme, und wenn es auf allen Vieren ist. So ähnlich war es dann auch. Die Stöcke wurden zu Krücken und unsere Geschwindigkeit näherte sich der Zahl Null an. Mit Tränen in den Augen und nur noch den Tunnelblick auf die Kathedrale gerichtet ging es Schritt für Schritt vorwärts. Ja, ans Kap wäre ich nicht gekommen. Das leuchtete dann sogar mir ein 😉

Endlich waren wir am Ziel angekommen, wir standen vor der Kathedrale! Tränen liefen und wir umarmten uns. Diese Emotionen kann man nicht beschreiben. Die muss man einfach selbst erleben. Irgendwie ist man nicht mehr man selbst. Sogar jetzt beim Schreiben bekommen meine Augen einen feuchten Schleier. So tough und cool wir doch zu sein scheinen, hier waren wir wie alle anderen. Wir heulten, lachten, machten Fotos und konnten es nicht fassen hier zu stehen.

Natürlich erfuhr mein Fuß keine Wunderheilung, mit Santiago erkunden war nicht viel. Ich kaufte am nächsten Tag ein paar Souvenirs und ansonsten lag mein Klumpfuß auf irgendwelchen Stühlen rum. Die restlichen zwei Abende verbrachten wir mit Pilgern, die wir bereits kennenlernen durften und zufällig wieder trafen. Manche zogen noch ans Kap Finisterre weiter, für andere war nach 800km nun Endstation.

Mit meinem Schicksal hadernd hörte ich mir Geschichten von denen an, die vom Kap schon wieder zurück kamen. Ich sah Bilder im Status der Glücklichen und wurde jedesmal wehmütig nicht auch dort zu sein. Viele meinten, ich solle den Weg in den Sommerferien nachholen.

Aber vielleicht soll es gar nicht sein, dass ich mir meinen letzten Wunsch erfülle? 🍀

Vielleicht bin ich einfach noch nicht an der Reihe…🍀

Wenn ich dafür alt, grau und runzlig werde verzichte ich gerne auf dieses Abenteuer! 🍀

Es steht somit immer noch auf meiner Liste. Als einziger Wunsch.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es auch andere Wege gibt, die auf mich warten 😉☀️

Zu Hause angekommen besuchte ich gleich meinen Orthopäden. Das Röntgenbild zeigte einen eindeutigen Bruch des unteren Wadenbeins. Keine Bänderdehnung! Als ich ihm erzählte, dass ich damit 300km damit gelaufen bin, lachte er…🙈 Nun darf ich für sechs Wochen eine Orthese tragen und soll den Fuß schonen. Ein MRT für den Mittelfuß steht für morgen auf dem Programm. Man könnte sagen, ich habe mich rentiert. Aber wisst Ihr was?! Es gibt schlimmeres, und ich bereue auch nicht, dort nicht zum Arzt gegangen zu sein. Ich hätte dies alles nicht erlebt, wenn ich in Leon bereits von einem Bruch gewusst hätte. Diese Zeit ist durch nichts zu ersetzen 🍀

Wenn Ihr Lust bekommen habt Euren Weg zu gehen, lasst Euch nicht aufhalten, ich kann es jedem nur empfehlen. Ich bin kein spiritueller oder christlicher Mensch, und trotzdem fesselt mich dieser Trip und ich kann nicht aufhören, davon zu erzählen und daran zu denken. Wenn ihr fragen habt, dürft ihr mich natürlich gerne kontaktieren. Ich habe während der Reise täglich ein kleines einfaches Video auf Youtube in meinem Kanal “Gewinnerbraut“ eingestellt. Gerne dürft Ihr Euch das anschauen, liken und natürlich dürft Ihr den Kanal auch abonnieren. Vielleicht gehts ja irgendwann weiter? 😅

https://youtube.com/channel/UCKUwhMdiHyo6JIvKoLWBiNQ

Sag niemals nie…

Buen Camino

Eure Nadja

02.05.22_Mein Ruhepuls…

…kommt gar nicht mehr nach!

Zu Beginn des Monats April scherzte ich noch, dass auch Corona seinen Stolz hat und mich deswegen wohl nicht heimsuchen wird. Inzwischen denke ich, dass es einfach so verzweifelt ist, dass es sich sogar an mich ran wagt 😂 Mitte des Monats war es dann soweit, ich war positiv. Zugegebenermaßen habe ich es allerdings auch darauf angelegt, es endlich hinter mich zu bringen. Da ich meine Pilgerreise vor Augen hatte und etwas besorgt war, dass ich diesen Mist bestimmt ein paar Tage vor Abflug bekomme, war ich ganz froh, als ich endlich positiv war. Einem Mädelswochenende im Sonnenhof sei Dank. Wer diese Location nicht kennt, denkt einfach daran, wie wir früher feierten. So in den 80ern. Eng, verraucht und das Einzige was wir im Gesicht hatten waren “Sunglasses at night“. Wer hier wen ansteckte werden wir wohl nie erfahren, ist auch völlig egal. Wir wussten alle, worauf wir uns einlassen. Zwei Tage später nahm es seinen Lauf, Hals- und Kopfschmerzen grüßten mich herzlich, gefolgt von Schüttelfrost und etwas Temperatur. Mein Ruhepuls war nicht mehr bei gechillten 46 sondern rutschte plötzlich den 60 entgegen. Auch nicht zu vergessen, der charmante und subtile Husten, der mich seitdem begleitet. Drei Tage war es wie eine starke Erkältung, dann war es erledigt. Für mich jedenfalls. Dann hatte es der Rest der Familie. Ich gebe zu, das war nicht geplant.

Am zweiten Tag meiner “Erkältung“ meinte ich, es wäre mal wieder an der Zeit, meinem Haarwuchs am Körper mit Epilation entgegen zu wirken. Mein Rat an Euch, das sollte man nur tun, wenn der Körper nicht sowieso bereits geschwächt ist…das waren Schmerzen! Auuuuuaaaaa…Hölle! Ich beschloss dann, dass ich meiner ehelichen Pflicht in dieser Nacht sowieso nicht nachkommen kann, und es somit völlig egal ist, was da irgendwo so wächst 😉😂

Das einzig blöde an meiner Corona Erkrankung war, dass ich in dieser Zeit nicht wandern gehen konnte. Aber sobald ich es wieder verantworten konnte, legte ich wieder los. Mal war Willma Ruhe dabei, mal begleitete mich unsere Hündin Elsa. Mir wurde nie langweilig. Der Termin rückt immer näher und ich werde immer aufgeregter. Ich packte schon mal “Probe“ um zu sehen, ob auch wirklich alles in meinen Rucksack passt. Und ich fing auch an, mit gepacktem Rucksack wandern zu gehen. Ja, genau! Ich schleppte dann die 8Kilo durch unseren schönen Kraichgau. Was soll ich sagen, die Bewegung schadet mir nicht 😉 Elsa hats gefreut. Und ich denke Willma auch ☀️

Einen Rückflug habe ich inzwischen auch gebucht. Mitten im Sonnenhof bekomme ich die Nachricht, dass nun Flüge im Angebot sind. Ich musste mich also schnell entscheiden und mich auf einen Tag festlegen. Ich wollte eigentlich 21Tage plus bleiben, also so zwei bis drei Tage mehr. Dann habe ich noch etwas puffer und schaffe den Weg bis ans Ende der Welt. Allerdings gab es nur Flüge am 21.Tag und am 25.Tag. Tja, es wurde dann der 25.Tag! Wahnsinn! Ich war noch nie so lange von zu Hause weg. Ein bisschen Angst habe ich schon vor dieser langen Zeit. Ich werde mich auch zwischendurch verfluchen, was ich denn da mal wieder für eine glorreiche Idee hatte! Aber ich werde hoffentlich mehr positives mitbringen und den Weg genießen können. Mit all seinen Strapazen den er mit sich bringt, aber auch mit all seinen Erfahrungen und Erlebnissen die man dort durchlebt. Keine Sorge, ich werde berichten 😂

Seit ein paar Tagen ist mein Puls wieder erhöht, vor lauter Aufregung. Jetzt gerade beim Schreiben habe ich schon einen Puls von über 80! Gestern Abend musste mein Mann mal wieder Dokus über den Jakobsweg mit mir schauen. Herzkirsche fragte, ob wir etwas anderes einschalten können, oder sie geht wieder in ihr Zimmer 😂 Jaaaaa, sie haben es nicht leicht mit mir…

Und in dieser sowieso schon aufregenden Zeit habe ich natürlich auch noch meine ständigen Untersuchungen. Drei Monate waren schon wieder vergangen, mein CT stand an. Ich schmiss mir wieder meine Beruhigungsdrogen ein und meine Mom begleitete mich nach Heidelberg. Ich meine mich zu erinnern, dass alles problemlos verlief, auch das Kontrastmittel machte mir diesmal keine Probleme. Nur das Legen des Zugangs war wie immer schwierig. Vier Versuche diesmal. Drei Ärzte.

Eine Woche später war wieder NCT Tag. Blutabnahme, warten, Kaffee, warten, Kaffee, warten. Netflix schauen. Dann hatte ich mein Arztgespräch. Keine Ahnung warum, vielleicht war alles etwas viel in den letzten Wochen, aber als mir gesagt wurde, dass meine Tumorlast weiterhin rückläufig ist, brachen meine Dämme. Ich musste seit langem mal wieder heulen. Vor Freude! Ich konnte auch nicht aufhören. Fluchtartig verlies ich dann das Gebäude, in mir schien ich fast zu platzen vor lauter Freude und Glücksgefühlen. Dies war alles vermischt mit den Gedanken, dass um mich herum Menschen sitzen, denen es vielleicht gerade nicht so gut geht, und es taktlos von mir ist, mich so zu freuen. Ich wusste selbst nicht mehr was richtig und was falsch ist. Aber dann draußen angekommen hätte ich die ganze Welt umarmen können. Ich hätte es am Liebsten laut heraus geschrien.

Heute, eine Woche später, sitze ich wieder im NCT. Wieder Blutabnahme, warten, ihr kennt das ja inzwischen. Heute ist meine großer Termin mit Spritze und den Medis für die nächsten vier Wochen. Wenn die Neutrophilen stimmen! Aber letzte Woche waren sie über 1, also dürfte es heute kein Problem sein. Gerade habe ich auch die genaue Auswertung meines Befundes des CT bekommen. So mit Bildchen der Nachfolger von Edward und Tabellen und Auswertungen.

Meine Tumorlast ist nun insgesamt um 57,7% seit 04.03.21 zurück gegangen!

Beim letzten Befund waren es noch 45,5%. Und nun nochmal so eine Steigerung! Das ist unglaublich. Ich kann es selbst gar nicht richtig glauben. Auch die Ärzte sagen, dass eine solch große Abnahme, nach dieser Zeit, sehr gut ist.

Keine Ahnung wie ich das mache. Ich bin überzeugt davon, dass es eine Mischung zwischen Therapie, Ernährung und Kopfsache ist. Wer weiß?!

Gerade habe ich den Wert meiner Neutros mitgeteilt bekommen, knapp über 1. Puh, gerade so geschafft. Das ist jedes Mal ein Überraschungsei. Letzte Woche so hoch, diesmal so knapp. Hauptsache drüber. Die Medikamente kann ich bekommen. Somit steht meinem Pilgerabenteuer nichts mehr im Wege.

Morgen, am 03.05., um diese Uhrzeit sitze ich bereits in Frankfurt am Flughafen. Ich sehe mich bereits in Burgos in einer Tapas Bar sitzen, mit Leckereien und einem Cocktail vor mir 😅

Am Mittwoch morgen starte ich dann mit meinem Marsch. Drückt mir die Daumen, dass alles klappt. Meine liebe Freundin Ines hat mir gestern ein wunderbares Geschenk vor die Tür gestellt. Ich war so gerührt. Die Anteilnahme und Wünsche die ich von allen bekomme ist überragend ❤️

Ihr seid die Besten 🍀

Bleibt gesund 💪🏼 wir sehen und hören uns, versprochen ✌️