22.03.23_neuer Therapiestart…

22.03.23_neuer Therapiestart…

Was war das denn für ein Start in die neue Therapie?!
Ich bin mal wieder kaum zu toppen🙄Nicht nur, dass ich gestern mit einem Puls von über 70 auf der Couch liege, total übernächtigt bin, und mich die plötzlich aufkommende Nervosität total im Griff hat!
Ich verursache auch noch beim Ausparken heute morgen einen Blechschaden 🙈total unnötig! Ich war nicht mehr ich selbst.

Ihr seht, selbst danach kann ich noch nicht fröhlich lächeln …

Eigentlich hätte ich gar nicht selbst fahren sollen, aber wie das so ist – man schafft das auch alleine … 😫 zumindest mit einigen Dellen mehr am Auto 🫣
🍀
Total verheult in der Klinik angekommen, denn im Auto heult es sich am Besten und am Lautesten😅, weiß niemand so recht wohin mit mir. Toll, Unsicherheit beim Fachpersonal kann ich noch gebrauchen an diesem Morgen! Ich soll in die Tagesklinik, dort bekomme ich alles und vorher noch ein Arztgespräch. Supi, läuft…zumindest bis zu meinem Sessel, denn auf dem darf ich satte zwei Stunden warten 😫 da mir immer wieder vor Nervosität die Tränen in die Augen steigen, werde ich irgendwann gefragt, ob ich eine Allergie habe…
Manchmal fällt sogar mir keine Antwort mehr ein 🙈😂


Endlich kam eine Ärztin, ich fragte sie, ob ich denn auch die Tabletten hier bekommen könne, denn in der Apotheke kosten sie ca. 2000€. „Soviel kostet das nunmal!“ war die schnelle und etwas schnippische Antwort, der blond gelockten Barbie. Auch als sie Begriff, dass ich privatversichert bin, versuchte sie gar nicht erst auf meine Anfrage einzugehen und drückte mir das nächste 2000€ Rezept in die Hand. Zum Glück haben mir so viele von Euch den Tipp gegeben, das Rezept auf Rechnung in der Apotheke zu holen 😅👌🏼

Nun konnte die neue Therapie beginnen.
Zuerst nahm ich die Abemaciclic Tablette ein. Eine morgens, eine abends.
🍀
Der Spritzenmarathon startete:
Zuerst Blutabnahme. Wunderbar, aufs erste Mal kam gleich ein toller Jahrgang ans Licht 🫣😂
🍀
Dann die erste Spritze:Zoladex. Ab in den Bauch, nix neues.
🍀
Zweite Spritze im Doppelpack:
Fulvestrant 250mg . Links und rechts jeweils in den Gesäßmuskel. Inzwischen war mein Puls bei 90 angekommen. Ich lag dabei seitlich, musste meine Knie anwinkeln und hinten blank ziehen 🙄 die Krankenschwester gab mir zwei Stellen an meinem Po zur Auswahl, und tatsächlich schmerzten die unterschiedlich. Ich dachte mir, ich nehme erstmal die nicht so schmerzhafte Stelle, die andere hebe ich mir fürs nächste Mal auf 😉😅✌🏼
🍀
„Achtung Stich“, war mein Kommando! Und was spürte ich? Nichts!!! Ich schwöre ✌🏼
Sie brauchte circa 1:30Minute um mir die Injektion zu verabreichen, da man es langsam machen sollte. Und erst gegen Ende spürte ich etwas Druck. Ich konnte es nicht glauben!

Ich war sogar so gechillt, dass ich der Krankenschwester vorschlug , ob man ein bisschen von dem Mittelchen in jede meiner Dellen spritzen könne. So für den Sommer oder so 🤪 Ich glaube sie hat keine Dellen. Noch zu jung… sie reagierte nicht darauf 🤷🏻‍♀️😂

Wieder zurück zum Thema……die zweite Seite war genauso angenehm. Jeweils ein Pflästerchen drauf und fertig! 😅 „Bin ich hier fertig?“ „Sie dürfen gehen! In 2Wochen wieder.“ Ich fing fast schon wieder an zu heulen, aber diesmal vor Erleichterung! Deswegen haben wir jetzt eine Blechschaden? Deswegen war ich zwei Tage nicht ich selbst?!

Unfassbar!!!

🍀Allerdings denke ich, dass noch ein bisschen mehr in diesen Tränen steckt. Vielleicht Angst vor dem was kommt?! In zwei Monaten bekomme ich wieder ein CT gemacht, und dann zeigt sich die Wirkung dieser Medikamente. Schlägt es an?!

🍀Angst, da eine Therapieoption jetzt einen Haken hat! Und wir nun die Zweite angehen. Ich traue mich nicht zu fragen, wie viele es für mich gibt 🙈

🍀Angst vor den Nebenwirkungen. Ich bin verwöhnt was das angeht. Nun werden die Karten neu gemischt, mal schauen ob der schwarze Kater dabei ist, oder ob ich doch wieder mehr Joker bekommen.

Was auch kommen mag- aufgeben ist keine Option!

Ich möchte Euch weiterhin durch meine Erfahrungen mit dieser scheiß Krankheit zeigen, dass es weitergeht. Egal wie groß die Spritzen sind 💪🏼🍀💪🏼🍀💪🏼🍀

Ich chille heute den restlichen Tag, ruhe mich aus, damit ich morgen wieder gestärkt weitermachen kann 🍀

Bleibt abenteuerLUSTIG und gesund ☀️

Eure Nadja 🍀

11.02.23_Was bin ich…

…denn jetzt?

Inzwischen gebe ich auf Instagram und Facebook fast täglich etwas von mir Preis.

Es sind Geschehnisse und Stories die mich beschäftigen, die mir passieren. Mal Gutes, mal weniger Gutes. Ich beschönige nichts, ich habe nicht das Ziel, nur die guten Dinge zu erzählen. Ich habe weder ein großes Fachwissen, noch kann kann ich irgendetwas besonders toll. Ich möchte Euch nur das wahre Leben einer metastasierten Patientin aufzeigen und Anekdoten aus meinem Leben erzählen.

Denn ich erzähle von meinen Ängsten, Sorgen und ich erzähle von sehr privaten Dingen. Auch rufe ich zur Vorsorge auf, da dieser unangenehme Termin leider gerne vernachlässigt wird.

Mutmacherin,

Kämpferin,

Vorbild

Inspiration und

Idol

all das wurde ich in den letzten zwei Jahren genannt.

Aber bin ich das alles auch ? Was machen diese Worte mit mir?

Ich horche in mich hinein und frage mich, ob ich wirklich eine Mutmacherin oder gar ein Vorbild oder eine Inspiration bin.

Jedesmal wenn ich das lese, erröte ich. So ein großes Wort wird für mich verwendet! Dabei fühle ich mich doch klein. Nur eine von Vielen. Ich fühle mich wie ein kleines Zahnrädchen, das alles um sich herum zwar irgendwie bewegt und greift, aber mehr auch nicht. Eben ein Zusammenspiel mit anderen.

Und wenn ich dann so nachdenke, über meine Reise in den letzten 7Jahren, dann bin ich doch etwas…stolz? …ergriffen? Irgendetwas davon, vielleicht auch beides. Es ist so vieles passiert in dieser Zeit.

Diese Krankheit verändert einen. Man erträgt die vielen Operationen, man muss die unzähligen Arztbesuche über sich ergehen lassen, man muss immer weiter machen. Was bleibt einem sonst übrig?! Mit den Füßen stampfen und zornig sagen :“Ich will nicht mehr!“ , bringt einen nicht weiter. Nicht, dass ich das nicht schon versucht hätte 😉 bringt halt nichts. Rückschläge und Erfolgserlebnisse wechseln sich ab. Das Leben wird nie mehr so sein, wie es einmal war.

Bin ich deswegen eine MUTMACHERIN?

Ich bin ich. Wenn ich durch meine Geschichte anderen Mut machen kann, dann freut mich das natürlich. Wenn andere sehen, dass man mit einer solchen Erkrankung durchaus noch Spaß am Leben haben kann, und nicht nur im Krankenhaus seine Zeit verbringen muss, dann habe ich alles richtig gemacht.

Wenn ihr sagt, ich bin ein VORBILD, dann freut mich das. Nehmt die Dinge, die ich scheinbar richtig mache, und fügt noch eigene Dinge hinzu. Denn perfekt bin ich nicht! Ich sehe mich eher als perfekt unperfekt 😅

KÄMPFERIN

Dieses Wort wird in der Community zweiteilig angesehen. Denn wer gegen diesen mega großen und unfairen Gegner kämpft, kann nur verlieren! In den Todesanzeigen steht gerne „hat den Kampf gegen den Krebs verloren“. Wir wollten nie Kämpfen, wollten nie in diese unfaire Schlacht ziehen.

Manche sagen, sie nehmen sich der Krankheit an und arrangieren sich mit ihr. Das hört sich alles nach Friede Freude Eierkuchen an, ist aber in Wahrheit ein harter Weg, bis man diese Erkenntnis erlangt.

Ich bin eher so Zwischendrin. Jeden Tag, an dem ich aufstehen kann und den ich genießen darf, ist für mich ein gewonnener Tag. Ich akzeptiere nicht, dass ich diese Krankheit habe, warum sollte ich etwas akzeptieren, das ich nie wollte?! Aber ich lebe mit dieser Scheiße in mir und versuche das Beste daraus zu machen. Nicht verrückt zu werden und durchzudrehen ist mein täglicher „Kampf“. Jeden Tag diese Tabletten einzunehmen und regelmäßig in die Klinik zu gehen, ist mein Kampf. Irgendwann wird Edward mit seinen Gefolgstumoren gewinnen. Dessen bin ich mir bewusst. Und doch fühle ich mich nicht als Verliererin, denn ich habe dieses wunderbare Leben mit all den den wunderbaren Menschen um mich herum und ich unternehme ganz tolle Dinge. Das alles gibt mir die Kraft nicht auf den Boden zu stampfen, nicht zornig zu sein. Ok, manchmal traurig sein, manchmal weinen, manchmal diese Sehnsucht nach „Normalität“ verspüren…

Ich bin die „Gewinnerbraut“! Und das lasse ich mir von solch einem A…loch nicht nehmen!

Ich denke, ich bin, je nach Tagesform, immer eine der genannten Personen. Aber vor allem versuche ich authentisch für Euch zu sein! Und ich versuche Euch noch sehr lange vom Leben einer palliativen Patientin zu erzählen. Nicht in lyrischen Höchstleistungen, sondern wieder authentisch und perfekt unperfekt 😉☺️

Bleibt gesund und abenteuerlustig 🍀

Eure Nadja

12.07.22_Sie dürfen stolz auf sich sein…

…sie haben heute zwei Rekorde gebrochen!

Nicht, dass ich es schon schwer genug hätte! Gestern Abend hat mich eine der niederträchtigsten Schnacken gestochen. Jetzt denkt nur nicht, dass ich hier auf “mimimi“ mache. Sie hat mich tatsächlich in meinen letzten verbleibenden Nippel gestochen🤬! Dieses Mistvieh! Nicht, dass ich genug Haut am Körper hätte die sie hätte nutzen können. Könnt ihr euch nur annähernd vorstellen wie das gejuckt hat?! Unfassbar! Und es gibt Körperstellen, da sollte man sich nicht ständig kratzen. Ästhetik und so…also habe ich meinen neuen unbenutzten “Bite away“ aus der Verpackung befreit. „Bite away“ ist ein Stift, der mit Hitze die juckende Stichstelle beruhigt. Noch nie hatte ich einen solchen Stift benutzt und las in der Gebrauchsanweisung, dass es einen fünf Sekunden Knopf, und einen drei Sekunden Knopf gibt. An einer anderen Stelle probierte ich zuerst die fünf Sekunden um dann festzustellen, dass ich an meiner Brustwarze die drei Sekunden anwenden werde 🙈😂 Ich sage euch, gejuckt hat es dann nicht mehr, aber es war alles andere als angenehm.

Heute sitze ich wieder im NCT und warte…letzte Woche war ich bereits hier, Neutrophilen Wert 0,96 🙄 Ich fragte, ob wir nicht auf 1 aufrunden könnten. Die Antwort könnt ihr euch denken, gerade habe ich wieder Blut abgenommen bekommen. Naja, letzte Woche war ich hier etwas im Stress. Vor einiger Zeit wurde ich angerufen, ob ich Interesse hätte, an der “Effect“ Sport Studie teilzunehmen. Natürlich sagte ich zu und wir trafen uns auch letzten Dienstag hier im Haus. Also ging ich zwischen Blutabnahme und Arztgespräch zu den Ärzten dieser Studie. Es soll erforscht werden, ob Bewegung und Sport bei Patienten mit Metastasen förderlich ist. Studien für Brustkrebspatienten und Sport gibt es bereits. Diese besagen, dass es den Patienten nach entsprechender Bewegung mental und körperlich besser geht. Deswegen bekommt man in jeder Reha ein Sportprogramm um die Patienten an den Sport heranzuführen oder sie in ihrer Fitness zu unterstützen. In dieser Effect Studie gibt es zwei Gruppen. Die eine Gruppe bekommt eine FitBit Armbanduhr, die die täglichen Schritte und Bewegungen in einer App aufzeichnet. Die zweite Gruppe bekommt auch dieses Armband, soll allerdings zwei Mal wöchentlich an einem organisiertem Sportprogramm teilnehmen.

Zu Beginn musste ich einen endlos langen Fragebogen ausfüllen, der keine Fragen offen lässt. Gar keine Fragen 🙈😅 dann wurde ich körperlich durchgecheckt. Größe, Gewicht…ich weiß, ich bin zu klein für mein Gewicht 🙄 meinen Ruhepuls von 48 erwähnte sie lobend und bei meinem Blutdruck meinte sie, ich solle nicht einschlafen. Danach kamen Gleichgewichtsübungen und zwei Kraftübungen an die Reihe. Nun musste ich auf den Ergometer und die Wattzahl stieg alle zwei Minuten an. Als ich fertig war, wurde hier eine Wattzahl ermittelt, die ich später 20Minuten am Stück mit einer gewissen Trittfrequenz treten soll. Aber erst musste ich zu meinem Arztgespräch um zu erfahren, dass meine Neutros zu niedrig sind. Dann noch die Zoladex und wieder weiter zum Fitnesstest. Jetzt kam der schweißtreibende Teil dran. Ihr müsst bedenken, alle Übungen musste ich mit einer FFP2 Maske machen. Folter! In der Reha weigerte ich mich im Fitnessraum auch nur eine Übung mit Maske zu machen. Ich ging so viel in der Natur spazieren, dass ich sowieso mehr machte als die Meisten anderen Patienten. Und nun saß ich hier mit FFP2 Maske und schwitze 20Minuten auf dem Ergometer vor mich hin. Das Treten war kein Problem, aber die Luft! Naja, als ich fertig war, meinte die Ärztin zu mir : “Sie können stolz auf sich sein, sie haben heute zwei Rekorde gebrochen!“

Toll, ich bin die Fitteste der Schwerkranken 😳🫢

Iron Maiden Juli 2022

Nach der Auswertung meiner Daten wurde mir mitgeteilt, dass ich in der Gruppe ohne Sportprogramm bin. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht ob ich darüber froh bin oder nicht. Auf der einen Seite muss ich mich nicht zwei Mal in der Woche zeitlich festlegen um diese Sporttermine wahr zu nehmen. Andererseits, muss ich nun eigenverantwortlich agieren.

Aber da ich nach sechs Wochen Bewegungspause durch meinen Wadenbeinbruch immer noch Rekorde brechen kann, glaube ich, komme ich ganz gut klar 😉

Außerdem möchte ich Anfang August wieder etwas wandern gehen. Wenn es nicht zu heiß ist und es auch nicht ohne Ende regnet…Mit Willi, unserer Bulldogge, kann ich solche Wetterextreme nicht machen. Ich möchte ein paar Tage am Moselsteig mit Zelt und Hund wandern gehen. Er hat jetzt auch seine ersten Wanderschuhe bekommen 🥰 das is so süß, er ist einfach ein toller Kerl! Zumindest bis er dann nachts im Zelt schnarcht und furzt 🤪😂

Abwarten was das Wetter macht. Natürlich werde ich euch berichten 😉

Jetzt warte ich noch auf meine Werte und versuche viele Schritte zu sammeln 😅

Euch wünsche ich eine bewegungsreiche Woche ❤️ bleibt gesund 🍀

Eure Nadja

01.06.22_Nach dem Camino…

…ist vor dem Camino!

Es wird getuschelt, dass es eine Sucht werden kann, den Jakobsweg zu gehen. Man überlegt bereits unterwegs, welcher Weg, der Nächste ist.

Willma Ruhe und mir erging und ergeht es nicht anders. Wir haben viel erlebt in dieser Zeit und träumten ständig von neuen Zielen und Verbesserungen die wir beim nächsten Mal machen. Das erschreckt uns selbst. Wie kann man so eine Selbstgeiselung wiederholen wollen?! Den ganzen Tag draußen, Kilometer um Kilometer mit Rucksack wandern, ständig andere Menschen um sich herum, permanenter Schlafentzug. Ich glaube, man muss es erleben um es zu verstehen. Um den Weg zu verstehen.

Es war das Abenteuer meines Lebens, soviel kann ich Euch sagen. Diese Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen kann mir niemand mehr nehmen. Das ist jetzt makaber, aber ich stelle mir mich ab und an vor, wie ich krank und schwach im Bett liege und mir die Bilder und Videos dieser Reise anschaue, und mit Tränen und Freude an diese Zeit zurück denke. Und es mir hoffentlich weiterhin Kraft gibt.

Obwohl dies mein Blog ist, in dem ich Euch über meine Krebserkrankung schreibe, möchte ich diese Plattform nutzen, um Euch über den Camino zu berichten. Denn irgendwie finde ich, gehört auch diese Reise zu meiner Krankheit dazu. Schließlich sollte diese Reise mein letzter Wunsch sein…

Am 03.05.22 flog ich nach Bilbao um dann noch weitere zwei Stunden mit dem Zug weiter nach Burgos zu fahren. Hier startete ich am 04.05. alleine meine Wanderschaft in Richtung Santiago de Compostela um ans Kap Finisterre zu gelangen. 600km sollten es werden und ich hatte dafür 25 Tage Zeit. In meinen ersten Tagen alleine führte mich mein Weg durch eine teilweise karge Landschaft des kastilischen Hochlands (Meseta). Es ging steil bergauf und ebenso wieder steil bergab. Viele Stunden wanderte ich alleine und war dennoch nicht einsam. Immer wieder begegnete ich anderen Pilgern. Abends in den Albergen beim gemeinsamen Essen des Pilgermenüs traf ich auf Pilger aus allen Ländern dieser Welt.

Die Gedanken kreisten irgendwann nur noch um drei Fragen – Was esse ich heute? Wo schlafe ich heute? Wie weit laufe ich heute?

Man reduziert sich auf das Wesentlichste. Meine Krankheit wurde zur Nebensache und die Blasen an meinen Füßen gewannen an Priorität. Blasen hat hier jeder irgendwann einmal. Jeder hat etwas über seine Füße zu erzählen und alle wissen, wovon gesprochen wird. Das wäre hier in unserer Realität nicht machbar. Jeder würde das Gesicht verziehen und angeekelt schauen. Wir haben uns gegenseitig geholfen und sogar gegenseitig verarztet. Auch Fremden! Egal! Man versteht sich ☺️

Der Tipp, ich solle mir einen Faden durch meine Blase ziehen war genial. Komisch und befremdlich, aber sehr hilfreich. Ich kann es Euch nur empfehlen.

Ich lernte Magdalena kennen, auch eine Pilgerin, die wie so viele andere auch, in Saint-Jean-Pied-de-Port mit Ihrer Reise begann. Wir aßen Abends zusammen und trafen uns zufällig am nächsten Tag unterwegs. Diesen Tag liefen wir gemeinsam zu unserem Ziel. Sie erzählte mir ihre Geschichte, und als wir schon beinahe in unserem Ort waren meinte sie beiläufig, dass sie bereits seit sechs Jahren als Krankenschwester in der Onkologie arbeitet und wenn sie nach Hause kommt, sie in die Palliativ Station wechselt. Meine Blick hätte ich zu gerne gesehen. Die Erste mit der ich laufe arbeitet in der Onkologie? Zufall? Schicksal? Der Weg?

Ich erzählte ihr von mir und Magdalena war sehr positiv überrascht, dass ich so lange nach meiner Diagnose zu solch einer Leistung fähig bin. Die Reaktion war mir persönlich fast zu positiv.

Sollte ich bereits sterbenskrank sein? Ist es so abnormal, dass man in meinem Stadium noch so fit ist?

Diese Fragen beschäftigten mich am nächsten Tag. Selbstzweifel versuchten an die Oberfläche zu kommen und mir einzureden, dass in ein paar Jahren sowieso alles vorbei sei. Doch ich gab diesen Gedanken keine Chance zu wachsen und der Weg tat sein übriges um mich abzulenken.

Am Muttertag, passierte dann etwas, das meinen gesamten Weg bestimmen sollte. Ich knickte auf einer breiten Straße in Sahagun, mit meinem 10Kilo Rucksack auf dem Rücken, um. Asphaltplatten hatten sich versetzt und mein Blick war auf die Pfeile für uns Pilger gerichtet, die uns immer den Weg zeigen. Dieser Versatz der Platten zwang mich in die Knie. Der Schmerz war sofort unerträglich und ein Aufstehen ohne Hilfe undenkbar. Vier Italiener eilten sofort herbei um mich zu verarzten. Genau diese vier Personen beäugte ich die ganzen Tage vorher mit kritischem Blick. Wollte mir Miss Karma etwas mitteilen? Nicht gleich urteilen, sondern erst einmal meinem Gegenüber eine Chance geben sich zu zeigen wie sie wirklich ist.

Und nun verarzteten und kümmerten sich diese vier Personen ganz liebevoll um mich. Nach viel Desinfektionsmittel, Tupfen und Streicheleinheiten wandten sie sich wieder ihrem Weg zu und überließen mich meinem Schicksal. Ich konnte nicht auftreten und somit auch nicht weitergehen. Also landete ich in einer fragwürdigen Bar, aber ich urteile ja nicht 😉, und bekam unmengen an Eis für meinen geschwollenen Fuß und Tortilla für meine Seele. Nach ein paar Tränchen musste ich leider den Beschluss fassen, dass es in die nächst größere Stadt nur noch mit dem Zug oder Bus weitergehen kann.

Am Bahnhof angekommen, lernte ich einen Südkoreaner kennen, dessen europäischer Name Emanuelle ist. Wir verständigten uns mithilfe von Übersetzungs Apps und Handzeichen. Auch er ist Pilger und möchte in die gleiche Stadt wie ich, nämlich Leon. Ich fand heraus, dass der nächste Zug erst um 17:30Uhr fuhr. Seine Reaktion auf diese Tatsache war: “Beer?“ 😂 Naja, was sollte ich auf diese charmante Frage antworten, schließlich hatten wir noch viele Stunden bis dahin. Und es war Sonntag. Die Alternativen waren somit überschaubar. Wir gingen in die nächste Bar. Er versuchte meinen Rucksack zu tragen. Versuchte. Ich übernahm ihn dann wieder und hinkte hinterher. Somit verbrachte ich einen Sonntagnachmittag in einem Irish Pup. Mit einem Koreaner der mir ein fragwürdiges Spray am Fuß verpasste und gefallen an “Beer“ fand. Der Fuß ist mir glücklicherweise nicht abgefallen und den Koreaner habe ich auch gut nach Leon gebracht. Insofern war es trotz Allem ein sehr witziger Nachmittag.

In Leon hatte ich dann zum Glück für drei Nächte ein Hotelzimmer. Ich pflegte und verarztete meinen Fuß und Willma kam dann wie abgemacht zu mir. Wir starteten am Mittwoch mit 11Kilometer, einfach um zu schauen, wie mein Fuß auf diese Belastung reagiert. Täglich steigerten wir unser Pensum und Willma kam mit jedem Tag mehr auf dem Weg “an“. Die erste Aufregung wich und sie knüpfte Kontakte und fühlte sich sichtlich wohl. Trotz der Gemeinschaftsunterkünfte, trotz der Ernährungsumstellung. Mit ein paar Blättern Salat und etwas Fisch hält man hier nicht lange durch. Der Körper verliert täglich ein paar Liter Schweiß und wir waren den ganzen Tag in Bewegung. Ein bisschen mehr musste es schon sein. Frühstück, Mittagessen und Abends das Pilgermenü waren immer willkommen. Auch gerne mal ein Gläschen Wein.

Am berühmten Cruz de Ferro wurde es für uns beide sehr emotional. Wir dachten an geliebte Menschen, an Kranke, an unfassbar traurige Schicksale und legten diese in Form von persönlichen Niederschriften an dem Kreuz nieder. Uns gegenseitig tröstend folgten wir weiterhin unserem Weg.

Wir wanderten mal nebeneinander, mal getrennt, mal plappernd, mal leise. Aber immer zusammen. Immer mit Blick aufeinander. Immer mir Blick zum Ziel. Und dieses Ziel kam immer näher. Die letzten 100km waren geprägt von den Tagespilgern. Teilzeitpilger. Ich mit meinen 25 Tagen war schon beinahe ein Teilzeitpilger. Hier waren Menschen unterwegs, die hatten 60Tage Zeit, drei Monate oder sogar noch mehr. Wahnsinn. Also wenn Ihr solch eine Reise plant, bringt etwas Zeit mit😉

Jeden Tag liefen wir bergauf und bergab. Mal auf Passhöhen, mal neben einer Landstraße, mal durch Weinberge. Die Vegetation wechselt ihr Aussehen. Von kargen Landschaften, durch satte grüne Wälder. Lavendel begleitete uns am Wegesrand, ebenso wie große Büsche Thymian. Aber eines war immer sicher, wir trafen immer wieder Pilger, die wir schon kannten ☺️

Einen Tag vor Santiago wusste ich, nachdem ich meinen Wanderschuh ausgezogen hatte, dass Santiago nicht nur das Ziel von Willma sein wird, sondern auch mein Ziel. Der Traum an das Kap Finisterre zu laufen, war in diesem Moment verpufft. Immer wieder unterwegs motivierte ich mich mit der Vorstellung, wie ich Richtung Wasser laufe. Immer wieder hatte ich bei dieser Vorstellung Tränen in den Augen dies zu schaffen. Doch leider sollte es nicht sein. Ich sah einen rot-blau geschwollenen Mittelfuß und wusste, dass ich es nicht weiter schaffe. Santiago ist Endstation. Alles andere wäre unverantwortlich.

„Aufgeben ist keine Option“ ist immer mein Spruch. Doch nicht, wenn es der eigenen Gesundheit schadet. Leise weinend versuchte ich diese neue Situation zu verkraften. Mit Schnuggi und Willma ging ich die verschiedenen Möglichkeiten durch, die mir noch blieben. Ich legte meinen gebuchten Flug von Samstag auf Dienstag vor und würde somit nur noch am nächsten Tag mit Willma nach Santiago laufen und Montag noch die Stadt erkunden. Dienstag fliegen wir gemeinsam nach Hause.

Diese Nacht war die Schlimmste auf dem ganzen Weg. Furchtbare Unterkunft, kaputter Fuß und der Kopf will nicht ruhen. Wie soll man da auch nur ein Auge zu bekommen?

Um 5:13Uhr am nächsten Morgen gingen die Ersten bereits los! Wir hatten noch 20km bis zum Ziel. Ein tolles Frühstück mit Waffeln und schon starteten wir. Unser letzter Tag der Wanderschaft. Wir waren jetzt schon wehmütig. Es war ein gefühlt endloser Weg. Es ging durch Wälder, um den Flughafen herum, bis wir endlich die Stadt zu sehen bekamen. Und uns ging es immer schlechter. Willma klagte über Schmerzen komplett ab Hüfte nach unten, ich bekam zwei Kilometer vor Ende bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz im Mittelfuß. Es war die Hölle. Jeder Schritt tat uns weh. Aber ich sagte Schnuggi noch am Vorabend, dass ich auf jeden Fall ins Ziel komme, und wenn es auf allen Vieren ist. So ähnlich war es dann auch. Die Stöcke wurden zu Krücken und unsere Geschwindigkeit näherte sich der Zahl Null an. Mit Tränen in den Augen und nur noch den Tunnelblick auf die Kathedrale gerichtet ging es Schritt für Schritt vorwärts. Ja, ans Kap wäre ich nicht gekommen. Das leuchtete dann sogar mir ein 😉

Endlich waren wir am Ziel angekommen, wir standen vor der Kathedrale! Tränen liefen und wir umarmten uns. Diese Emotionen kann man nicht beschreiben. Die muss man einfach selbst erleben. Irgendwie ist man nicht mehr man selbst. Sogar jetzt beim Schreiben bekommen meine Augen einen feuchten Schleier. So tough und cool wir doch zu sein scheinen, hier waren wir wie alle anderen. Wir heulten, lachten, machten Fotos und konnten es nicht fassen hier zu stehen.

Natürlich erfuhr mein Fuß keine Wunderheilung, mit Santiago erkunden war nicht viel. Ich kaufte am nächsten Tag ein paar Souvenirs und ansonsten lag mein Klumpfuß auf irgendwelchen Stühlen rum. Die restlichen zwei Abende verbrachten wir mit Pilgern, die wir bereits kennenlernen durften und zufällig wieder trafen. Manche zogen noch ans Kap Finisterre weiter, für andere war nach 800km nun Endstation.

Mit meinem Schicksal hadernd hörte ich mir Geschichten von denen an, die vom Kap schon wieder zurück kamen. Ich sah Bilder im Status der Glücklichen und wurde jedesmal wehmütig nicht auch dort zu sein. Viele meinten, ich solle den Weg in den Sommerferien nachholen.

Aber vielleicht soll es gar nicht sein, dass ich mir meinen letzten Wunsch erfülle? 🍀

Vielleicht bin ich einfach noch nicht an der Reihe…🍀

Wenn ich dafür alt, grau und runzlig werde verzichte ich gerne auf dieses Abenteuer! 🍀

Es steht somit immer noch auf meiner Liste. Als einziger Wunsch.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es auch andere Wege gibt, die auf mich warten 😉☀️

Zu Hause angekommen besuchte ich gleich meinen Orthopäden. Das Röntgenbild zeigte einen eindeutigen Bruch des unteren Wadenbeins. Keine Bänderdehnung! Als ich ihm erzählte, dass ich damit 300km damit gelaufen bin, lachte er…🙈 Nun darf ich für sechs Wochen eine Orthese tragen und soll den Fuß schonen. Ein MRT für den Mittelfuß steht für morgen auf dem Programm. Man könnte sagen, ich habe mich rentiert. Aber wisst Ihr was?! Es gibt schlimmeres, und ich bereue auch nicht, dort nicht zum Arzt gegangen zu sein. Ich hätte dies alles nicht erlebt, wenn ich in Leon bereits von einem Bruch gewusst hätte. Diese Zeit ist durch nichts zu ersetzen 🍀

Wenn Ihr Lust bekommen habt Euren Weg zu gehen, lasst Euch nicht aufhalten, ich kann es jedem nur empfehlen. Ich bin kein spiritueller oder christlicher Mensch, und trotzdem fesselt mich dieser Trip und ich kann nicht aufhören, davon zu erzählen und daran zu denken. Wenn ihr fragen habt, dürft ihr mich natürlich gerne kontaktieren. Ich habe während der Reise täglich ein kleines einfaches Video auf Youtube in meinem Kanal “Gewinnerbraut“ eingestellt. Gerne dürft Ihr Euch das anschauen, liken und natürlich dürft Ihr den Kanal auch abonnieren. Vielleicht gehts ja irgendwann weiter? 😅

https://youtube.com/channel/UCKUwhMdiHyo6JIvKoLWBiNQ

Sag niemals nie…

Buen Camino

Eure Nadja